Die ersten Wochen

In der folgenden Zeit lernte ich viel: Die Vorderpfoten beim Menschen heißen Arme und vorne dran ist eine Hand. Die Hinterläufe heißen einfach Beine. Naja, man kann das ja verstehen, wenn man auf die Hälfte der Beine verzichtet, um damit zu „handeln“, braucht man auch nicht zwischen „Vorder…“ und „Hinter…“ zu unterscheiden. Dann kommt man schlicht mit dem Wort „Beine“ aus.

Das Säulending mit den dicken Hölzern heißt Tisch, die beiden kleineren sind Stühle. Meine Wohnhöhle hatte ich unter der Kiste namens Kleiderschrank eingerichtet. Die kleineren Kisten waren eine Truhe und ein Schreibtisch. Letzterer stand unter dem Fenster und stellte meine Aussichtsplattform bei allen Wetterlagen dar. Von hier aus konnte ich auch den Park sehen. Wie mir Gaby erklärte, war dies aber nicht mein Heimatpark, denn wir waren in einer anderen Stadt – weit weg von meinem Geburtsort.

Die Metallkiste mit dem Essen drin heißt Kühlschrank. Und das runde Ding mit dem Metalldeckel, das mir bis heute nicht geheuer ist, nennt sich Mülleimer. Ich schwöre, um diesen Eimer werde ich bis zum Ende meiner Tage einen achtungsvollen Bogen machen. Ich weiß zwar inzwischen, daß ich den Lärm selbst ausgelöst habe. Aber mir klingen jetzt noch die Ohren, wenn ich mich erinnere, egal wie gut es daraus riecht. Diese Kiste ist für mich tabu. Man muß die Sache mit dem Mut schließlich nicht übertreiben.

So wuchs ich langsam und mit mir meine Kenntnis vom Menschen. Hin und wieder bekam Gaby Besuch. Immer dann, wenn sie nachts nicht weg war. Ich lernte dann viele andere Menschen kennen. Männchen und Weibchen. Die Männchen haben eine tiefere Stimme und sind meist länger. Die Weibchen haben einen stärker ausgebildeten Katzenverstand, weshalb sie mir eher sympathisch sind. Sie kraulen mich auch vorsichtiger und nehmen Rücksicht darauf, daß wir Kater gerne unseren Bauch für uns haben.

Wenn Gaby im Bett liegt, habe ich dort nichts zu suchen. Jedenfalls nicht, solange sie noch nicht eingeschlafen ist. Wenn ich mich nicht danach richte, fliege ich raus. Also warte ich, bis sie eingeschlafen ist, dann kann ich mich in aller Ruhe unter die weißen Gebirge – die übrigens „Bettdecke“ heißen – schleichen und zwischen ihren Beinen schlafen. Der Platz direkt neben ihrem Hals ist übrigens auch sehr zu empfehlen. Man kommt zwar hin und wieder mit ihren Haaren durcheinander. Aber ein geschickter Kater kann sich da leicht wieder daraus befreien. Dort ist es immer angenehm „höhlig“ und warm. Gleichzeitig hört man gut, was in der Umgebung passiert und kann jederzeit verschwinden, wenn Gaby aufwacht.

Ist Gaby im Dienst und ich müde, ist dieser Bettenberg meine liebste Schlafstelle. Ich drehe mich dann solange in diesem Gebirge, bis sich eine richtige Höhle gebildet hat, in der ich mich dann zufrieden niederlassen kann.

Wir wohnten direkt unter dem Dach – was immer das auch hieß. Zwei der Zimmerwände gingen senkrecht nach oben, zwei wurden nach der Hälfte schräg.

Dort standen nur niedrige Schränke, in denen Gaby ihre Bücher aufbewahrte. Hinter diesen Büchern verkroch ich mich immer, wenn Besuch da war, den ich nicht leiden konnte. Einer der Männchen, die öfter kamen, roch sehr eigenartig. Ich erinnerte mich dunkel an diesen Geruch, wußte ihn aber nicht mehr genau unterzubringen. Mutter hatte mich wohl vor ihm gewarnt.

Irgendwie jedenfalls war mir dieser Mensch unsympathisch. Doch da Gaby mit ihm sprach und ihn ins Zimmer ließ, mußte ich ihn wohl akzeptieren. Er kam zusammen mit anderen häufiger zu Besuch. Dann wurde viel geredet und diskutiert, wie sie das nannten. Ich verschlief diese Zeit, so gut das ging. Waren sie dann endlich weg, kam ich hinter den Büchern wieder hervor und kuschelte mit Gaby. „Na, kleiner Kater. Das ist langweilig, wenn wir hier sitzen und lernen. Dann habe ich überhaupt keine Zeit für Dich. Aber es muß sein. Schließlich muß ich bald mein Examen machen. Und dafür lerne ich mit den Studienkollegen.“ Dann wurde ich ausgiebig gekrault.

Eines Tages packte mich Gaby in meinen Korb und stellte mich in den hinteren Teil ihres Wagens. Dann fuhr sie los. Ich saß nicht das erste Mal in diesem Auto. Schon bald hatte ich herausgefunden, daß es einen schmalen Spalt gab, der in den Kofferraum führte. Hier war es mir während der Fahrt recht behaglich. Wenn es zu lange dauerte, krabbelte ich wieder nach vorne und sprang auf die Rücklehne von Gabys Sitz. Dort legte ich mich der Länge nach hin, nachdem ich mit den Krallen für einen sicheren Halt gesorgt hatte. Diese Position war auch recht interessant, man konnte den Verkehr beobachten, während das Auto durch die Landschaft schoß.

So erreichten wir nach einigen Stunden unser Ziel. Gaby setzte mich zurück in den Korb und trug mich in ein Haus. Nachdem sie einander begrüßt hatten, reichte Gaby mich an die Menschenfrau weiter, bei der wir zu Besuch waren.

„Das ist meine Mutti!“ erklärte sie mir. Mutti konnte auch gut kraulen, außerdem stellte sie mir gerne etwas Milch hin. Klar, ich wußte, daß das nicht so gut für mich war. Aber es schmeckte eben phantastisch; dies Vergnügen mußte ich mir hin und wieder einfach gönnen.

Mutti hatte ein riesengroßes Haus mit einem noch größeren Garten. Da die beiden nicht auf mich aufpaßten, nutzte ich die erste Gelegenheit, die sich bot, auf Erkundungstour zu gehen. Ich fand heraus, was ein Dach war, kroch durch die Sparren und Ritzen. Dann stattete ich dem Keller einen Besuch ab, wo ich mindestens drei Mäuse riechen konnte, jedoch ohne eine einzige zu Gesicht zu bekommen. Ich untersuchte jedes Zimmer und jeden Winkel. Es war eine richtige Abenteuerlandschaft. Jedenfalls für einen jungen Kater wie mich damals.

Irgendwann hörte ich dann Gaby rufen: „Kater! Kater!“ Da ich inzwischen rechtschaffen müde war, trottete ich in Richtung der Rufe… und saß fest. Irgendwie war ich in eine Art Röhre geraten, aus der ich keinen Weg mehr hinaus fand. Ich maunzte so laut ich konnte. Niemand hörte mich.

„Kater! Kater! Wo bist Du?“ Ich maunzte, hustete durch den Staub, den ich in meiner Verzweiflung aufwirbelte. Da kamen Schritte näher. Mit einem Mal bewegte sich die Röhre, wurde immer schneller und plötzlich spürte ich, daß ich mich im freien Fall befand.

“Fang auf, die alte Tennistasche! Da, über Dir!“ rief Mutti … dann hörte der Fall ebenso plötzlich wieder auf. Die Röhre kam zum Stillstand. Ich hörte Gabys Hand.

„Da hat sich mein Kater in der Tennistasche verlaufen und sitzt nun in der Ballröhre fest. Aber Kater, das macht man doch nicht. Du mußt doch gucken, wohin Du läufst!“ Die Röhre wurde hochgehoben und geschüttelt. Da ich aus eigener Kraft offensichtlich nichts erreichen konnte, verließ ich mich auf Gaby und rutschte rückwärts nach unten, fiel … und landete weich in einem Arm. Ich war gerettet!

Nun wurde ich geputzt und gebürstet. „Du staubst ja wirklich unglaublich! Die Sachen liegen wohl schon seit Jahren unbenutzt auf dem Sockel. Und da mußtest Du unbedingt hinein, was, mein Kleiner? Na komm, trink einen Schluck und dann schlaf erst einmal eine Runde!“ Das Angebot nahm ich dankbar an. Sekunden später schlief ich bereits fest in Muttis Bett.

weiter