Die 6 Schwäne II – Die Stiefmutter. Der Vater/Mann

Autorin: Renate E.L. Nolte

Die Stiefmutter

In früheren Zeiten starben viele Frauen bei der Geburt oder im Wochenbett. Die Notwendigkeit der Wiederverheiratung des Witwers war nichts Ungewöhnliches. Mir sind einige Frauengestalten in der Geschichte bekannt, die als Witwe die Kinder alleine aufzogen. Es war gewiß nicht sehr attraktiv, eine Frau mit Kindern zu heiraten. Es gibt nur sehr wenige Märchen, in denen von einem Stiefvater die Rede ist.

„stief“ (mittelhochdeutsch) oder „steupa“ (germanisch) bedeutet „gestutzt“. Indogermanisch bedeutet „steup-“ stoßen, schlagen, Stock. Stumpf.

In den Märchen verkörpern Stief- und Schwiegermütter das Böse, als Störer der Familienharmonie. Sie gelten als das lieblose Gegenteil der (verstorbenen) leiblichen Mutter, die die Kinder ihrer Vorgängerin haßt.

In der analytischen Psychologie (C.G. Jung) gilt die (böse) Stiefmutter als Ausprägung eines Mutterarchetyps mit zerstörerischen und verschlingenden Zügen. Im Mittelalter finden sich Darstellungen der Magna Mater (Große Mutter) mit ihren zwei Seiten. Die eine ist die mütterliche, liebevolle, nährende Mutter, die andere (von Maden zerfressener Rücken = Tod, Zerstörung) ist die vernichtende Mutter.

In Märchen wird die Tochter oft als Konkurrentin der Stiefmutter dargestellt. Auch im Märchen „Die 6 Schwäne“ der Gebrüder Grimm, wird der Kampf zwischen Tochter und Stiefmutter dargestellt.

Wenn die Tochter zur Jugendlichen wird, tritt sie zunehmend in Konkurrenz zur Rolle der Mutter als erwachsene Frau. Kampffeld dürften Haushalt, insbesondere die Küche sein. Da wird dann aus der „lieben“ Mutter, auch aus der „lieben“ Tochter, eine „Böse“, eine „Feindselige“. Es ist als ob, die Mutter gegen die „böse“ Stiefmutter oder Schwiegermutter ausgetauscht wird.

Märchen wurden für beide Geschlechter erzählt. So finden wir auch in diesem Märchen eine Lektion für den Mann:

Ein König, ein Witwer, jagt so ungestüm durch den Wald, daß er sich von seiner Gruppe entfernt. Da stellt er fest, daß er sich verirrt hat: Er hat die Orientierung verloren und Angst nicht mehr aus dem Wald herauszufinden.

In früheren Zeiten waren die Wälder noch nicht so aufgeräumt wie heute. Es lauerten allerlei Gefahren. Unter anderem Wölfe.

Er begegnet einer „alten Frau mit wackelndem Kopf“ (böse Hexe, Wissende), die ihm anbietet, ihm unter einer Bedingung aus dem Wald heraushelfen. Da der Mann Angst hatte, im Wald Hungers zu sterben, ging er auf ihre Bedingung ein und heiratet ihre schöne Tochter, obwohl sie bei ihm ein „heimliches Grausen“ auslöst.

Merke: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Hätte er doch auf sein Bauchgefühl gehört!

In früheren Zeiten war es nicht immer leicht, die Töchter unter die Haube zu bringen. Nicht jeder brachte die Mitgift auf. Jedoch war die Ehe neben dem Kloster die einzige Möglichkeit, um die Tochter versorgt zu wissen.

Da er dieser 2. Ehefrau nicht traut, bringt er seine Kinder in Sicherheit. Die Aufgabe des Vaters war, Beschützter und Versorger der Familie zu sein.

Eine weise Frau (gute Hexe) schenkt ihm ein Garnknäuel, damit er jedesmal, wenn er sich um seine Kinder gekümmert hat, aus dem Wald herausfindet.

Übrigens: Ist schon aufgefallen, daß der König seine eigene Tochter heiratet und damit auch noch zum Bigamisten wird? Aber das ist unsere heutige Moral!

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