Die Göttin, ihr Glaube

Autor: Gisa, Okt. 2018

Vorpatriarchale Glaubensvorstellungen beruhten auf Zyklen und Rhythmen. Das Leben wurde als wiederkehrend wahrgenommen. Damit waren Tod und Wiedergeburt Teil des täglichen Lebens. Niemand fürchtete sich davor, denn nach dem Sterben gelangten alle in den Bauch von Allmutter, um dort zu regenerieren und wiedergeboren zu werden. Auch deshalb werden Ahnen verehrt und bleiben im Leben mit einbezogen.

Allmutter wurde regional, wenn überhaupt angesprochen, unterschiedlich bezeichnet. So gab es Astarte, Lilith, Aser, Isis, Nuth … Namen sind Legion. Aber es ist immer die Schöpfung-Natur-Allmutter, die damit angesprochen wird.

In mütterlichen Gesellschaften war die Herkunft des Kindes über seine Mutter definiert. Der Vater war nicht definiert, denn die Mutter hatte das Haus, den Acker, die Tiere… Sie stand fest; aus ihrem Bauch war das Kind gekommen. Männer waren u.a. auf Reisen oder unterstützten die Frauen.

Frauen mit Kugelbauch sind pragmatisch; sie gehen nur als Jungfrau auf Reisen, nicht aber als Mutter. Das ist nichts, was einen Mann hindern kann. Also ist sein Denken auch nicht darauf fixiert, den Kindern zur Verfügung zu stehen.

Mütterliche Kulturen wissen um die Wiederkehr, was heute als „Mythos“[1] bezeichnet wird. Stattdessen ist „Gott“ aus der Wahr-Nehmung ausgeklammert und kann in keinem Bereich des Lebens symbolisch wiedererkannt werden.

In der Muttergesellschaft wird der Jahresrhythmus wiederkehrend gefeiert. Die Göttin gebärt ihren Sohn (Vorstellung: der starke Stier), der zu seiner vollen Kraft heranwächst und ihr Geliebter wird (Fruchtphase), irgendwann weiße Haare bekommt (Herbst) und im Tod zurückkehrt in den Schoß der Großen Göttin. Dort regeneriert er und wird im nächsten Frühjahr als Sohn erneut geboren. Der Kreislauf ist geschlossen.

Stellvertretend für die Allmutter vereinigen sich Hohepriesterin und Sohn/Gott. Dies wird mit einem freudigen orgiastischen Fest gefeiert. Ebenso wie alle Jahresereignisse mit Festen gefeiert werden.

In der mütterlichen Vorstellung ist „Gott“ sterblich. Er muss es auch sein, damit seine Wiedergeburt ein neues fruchtbares Jahr ermöglicht. Sonst würde die Erde untergehen.

Dieser „Gott“ wurde hoch geachtet. Er war der Mond-, Fruchtbarkeits- und Wettergott und übernahm als solcher die Verantwortung für diese Abläufe (s.a. Pharao, der jährlich das Jahr auf dem Nil begrüßte, damit die fruchtbaren Überflutungen überhaupt stattfanden).

Sein Name war El oder Adon oder Adonis oder Ba’al oder … , auch hier sind die Namen Legion. Auch Allah heißt ursprünglich wohl El-Alat. Ebenso war Jahwe der regionale Vegetationsgott der midianischen Gesellschaft, wo Moses eine Frau suchte, ihre Schafe hütete und damit den Glauben seiner Frau annahm.

Jahwe war der „weiße Stier“, der Jungstier der Wüste. Er war ein sanfter Gott. Die Natur hat nur eine schöpferische Mutter. Die Seele des Alls ist diese Eine allumfassende Kraft: die Himmelskönigin. Und es gibt nur einen Sohn, weil es nur eine Schöpfung gibt.

Im Sinnbild des Sohnes verdichtet sich die Vorstellung von der geschaffenen Welt, und im kultischen Vollzug wird dieser Glaube zum Ereignis: in den Festen der Aussaat und der Ernte, in der der sterbende Gott mit Klageliedern begleitet wird, um mit Jubelfeiern im nächsten Frühjahr wiederzukehren.

Mit diesem Glauben besteht die Hoffnung der Wiedergeburt, es ist die Verheißung des Einen, des heilsbegabten Gottes-Sohnes, das Vertrauen der Menschen auf den zündenden Lebensimpuls und die bewegende Kraft der Heiligen Hochzeit. Es ist die Wiedergeburt der Schöpfung durch die kosmische Herrin allen Lebens[2].

Der wiederkehrende Gott ist die Messias-Vorstellung, die allen späteren Religionen innewohnt – die Sehnsucht nach der jährlichen Wiederkehr des Lebens.

Kraft 30Die Kraft, Tarot, Gisa, Die Vorstellung ist dem minoischen Weltbild entnommen.

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Nachsatz:

Natürlich wurde der Gott-Stellvertreter nicht im Herbst getötet; er war noch im Vollbesitz seiner Kräfte. Statt seiner wurden Stiere geopfert; sie bildeten gleichzeitig eine gute Fleischversorgung für die gesamte Gruppe.

Natürlich wurde die Hohepriesterin nicht notwendig schwanger.

Aber die Feste wurden gefeiert. Ausgiebig und begeistert.



[1] Mircea Eliade, Religionswissenschaftler, Mythos der Wiederkehr

[2] Gerda Weiler, Ich verwerfe im Lande die Kriege, Verlag Frauenoffensive. S. 127

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